Anne Schlöpke ist eine Meisterin des Vollen, des Überbordenden, der bedrängenden Fülle. Von ihr gibt es Zeichnungen, Objekte, Fotogramme, Collagen, Möbel und vor allem: Installationen. In diesen Installationen fügen sich die Einzelarbeiten zu komplexen Bildern, sie sind zusammengesetzt aus all den einzeln bestehenden Arbeiten, die offensichtlich demselben Gesetz gehorchen, die eine geheime Vernetzung besitzen. In die Installationen kann man manchmal hineingehen, wie in die große Rauminstallation, das Mädchenzimmer „Marnie", das sie vor einem Jahr in der Städtischen Galerie Delmenhorst, dem Haus Coburg, realisiert hatte. Dann rückt die verdichtete Formulierung dem Betrachter auf den Leib, daß sich kaum jemand der Einladung zum Gang in die bewußte und unbewußte Geschichte entziehen kann.
Die Installationen erwachsen aus der Raumarchitektur oder aus der Geschichte des Raums. Immer gibt es die Fülle der Verweise auf einen Zusammenhang. Was wir als Kinderbett, als Zöpfe, als Korsetts zu erkennen meinen, was an Körperteile erinnert, an Formen von Knoten und Ringen, eröffnet eine komplexe Wirklichkeit, in der vergessene weibliche Biographien und eigene Körpererfahrungen einen Wegweiser zu bilden scheinen. Materialien wie Wachs, Latex, Holz, Watte, Gummi und Gips halten die Verbindung zum organischen Körper und sind doch künstlich. Das Verhältnis von Natur und Zivilisation ist bedrängend, ohne Aussicht auf harmonische Klärung, gegenwärtig. Die Installationen führen in ein Mit- und Nebeneinander von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in der sich die Ebenen vermischen.
Immer stehen die Arrangements in einem Spannungsfeld zwischen Ordnung und Nicht-Ordnung. Anne Schlöpke will keinen widerstandslosen Genuß. Sie arbeitet auf dem gefährlichen Terrain der Verlockung und der Abstoßung, sie interessiert sich für den Punkt, in dem die Unlust in Lust umschlägt, die Faszination des Verborgenen, das auch das Schreckliche ist, aber dann auch viel mehr.

Barbara Alms in Punkt 26 kunst im nordwesten März 1994

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Anne Schlöpke definiert die Treppe als einen Ort, der den eigenen Körper ins Bewußtsein rückt: Atmung, Herzschlag, Kreislauf, Muskeln, Gelenke, Balance – und der geeignet ist, andere Körper ungeniert zu betrachten: die Hüften, die Waden, die Fesseln, die Schultern der vor einem selbst hinaufgehenden Person; als einen Ort, der, wenn die Treppe schmal ist, die sich begegnenden Körper einander näher bringt, als die Personen dies normalerweise zulassen würden. Aus Schildern, die Organe und Körperteile bezeichnen, hat sie ein „mechanisches Portrait" erstellt, das ebenso ganzheitlich wie als ein menschliches „Ersatzteillager" verstanden werden kann. Sie setzt auf die Kraft der Worte und die Imagination. Die Anordnung der Schilder ist von dem Prinzip der Verdichtung und Auflösung bestimmt, wobei sie den speziellen Wahrnehmungsmöglichkeiten des Ortes Rechnung trägt. Dem „Mechanischen" antwortet ein Herz mit Stecknadeln, ein sogenanntes Steckkissen, das als Symbol eines verletzten Zentrums interpretiert werden kann. Ihr Portrait ist das Bild des atomisierten, verletzten Menschen, das Bild der „Mater dolorosa" der christlichen Ikonographik. Das auf Treppen mögliche Bild von Menschen wird analytisch und sezierend umgesetzt und gleichzeitig hinterfragt. Ganz von fern grüßt Marcel Duchamps „Akt eine Treppe hinuntersteigend".

Hans-Joachim Manske im Katalog L' esprit de l' escalier / Treppenwitz Bremen 1994

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Gewalt ist auch, auf subtile Art ausgearbeitet, das Thema der Objekte von Anne Schlöpke. „Objekte" ist fast das falsche Wort – „Subjekte" fast das richtige. Anne Schlöpke animiert Dingliches, humanisiert es. Löffel meinen Füße, Schläuche Schenkel und Gedärme. Schaumstoffbälle sind wie Bäuche, eine Stricknadel wie ein Stilett. Metallenes wirkt skelettartig, Textiles gewebeartig. So wie Brot den Leib und Wein das Blut Christi meinen.

Frank Laukötter im Katalog Unantastbar. 60 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Kulturkirche St. Stephani Bremen 2009

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